Hammertime. / Logbuch Sommer 2016/ IV

zwischen Salzburg und Innsbruck. 18.08.2016

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Fahre mit Migräne auf der Autobahn. Könnte mir bessere Umstände für diesen Zustand vorstellen, aber Heinz stand noch in Salzburg, musste abgeholt werden, fühlte mich komisch ohne ihn in Innsbruck, als wäre mein dritter Arm weg und der war doch praktisch. Bemerkte schon in der Mitfahrgelegenheit nach Salzburg, dass ich noch off bin, aber naja.

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Kitschig wirds schnell mal, weil Sonnenuntergang: Schön. Motorrad: Auch Schön. Foto: Valentin Kouba

Später. Die Migräne hämmert von innen ein Relief in meine Schädeldecke, ich sehe Pausenbedarf ein und versuche eine Rastmöglichkeit auszumachen. Hoffe auf urige Hütten nahe der Strecke, die Grammerlknödel anbieten, in Österreich eigentlich nie weiter als einen Katzenwurf entfernt. Entdecke wenige Kilometer später ein enormes Schild mit Abzweigung zum Lerchenhof und folge.

Wär dies musikalisch untermalt, hier würde jetzt eine Plattennadel unsanft von der Platte abrutschen. Die ersten Häuser am Hügel sind beschriftet mit Bedienstetenhaus, bitte fahren sie weiter. Stelle Heinz im Schatten ab. Glücklicherweise klaut in Österreich quasi niemand. Lasse grundsätzlich meine Beladung auf dem Motorrad, in 3 Monaten ist nie etwas passiert, oder vllt impliziert meine improvisierte Verschnürung auch einfach, dass ich so viel Kohle wohl kaum mit mir herumschleppen werde. 

Irre durch Disneylandähnlichen Komplex mit Teletubby-Hügeln. Eigene Skischule, Liftstation, Friseursalon, Schönheitsareal und, fast seufze ich vor selbstmitleidiger Anstrengung in der Hitze den Berg hinauf, Restaurant mit Terrasse. Betrete die Hotel-Lobby. Frauen in Dirndln, Männer in samtigen Westchen. Alles blickt auf und mich an. Also nicht so oft Motorradvolk hier. Frage nach Terrasse, stumme Finger weisen mir den Weg. Ok, denke ich. Die werden wohl was zu essen haben, auch wenn das anscheinend keine übliche Raststation ist..

Betrete den Garten mit Pool und Golfwiese, am Eingang spielt ein Mann in Tracht
„The winner takes it all“ von Abba auf der HARFE. Frage mich nicht nur, ob das jemand glauben wird, sondern auch, warum mein Gehirn den Song zuordnen kann, nur weil ich vor Jahren bei einem Konzert der weltweit einzig offiziellen Abba-Doubles war. Warum, andere Geschichte. War es gut: Nein.

Es ist grad Jause. Buffet, 29€ pro Hotelgast. Das Publikum besteht aus flauschigen Bademänteln, ich bin die einzige Person unter 40, sowohl Alters- als auch BMI gemäß. Bin die einzige Person mit hochrotem Kopf, speckigem Unterhemd und Helm in der Hand. Ich passe nicht ins Bild, bin ein Klumpen in der Homogenität. Bin mein eigener Johnny im Komplex der Kellerman’s, oder aber ich habe kürzlich zu viele Kitschfilme konsumiert.
Senke den Blick, der pulsierende Schmerz kurz nach Hirnrinde findet Helligkeit semigut. Bin versucht meine Crossbrille wieder aufzusetzen, starren eh schon alle, aber belasse es bei einem Schattenplatz am Plastiktisch, unter weiß-gelbem Sonnenschirm, direkt am Pool. Hänge die schwere Protektionsjacke auf , hoffend, dass ein wenig Schweiß davon verdunstet, die Plastiklehne biegt unter dem Gewicht gen Boden, der Stuhl fällt.
Die mir nahe sitzenden Gäste verbergen ihr Starren nicht mehr.
Versuche in meinem feinsten, angepassten, langsamen NichtHochdeutsch ein Hollersoda zu bestellen. Die Kellnerin in steifem Dirndlstoff erklärt mir den Tagesteller, auf ihre Schürze sind kleine Vögel gestickt.  Kehre mit meiner Konzentration zu ihrem Vortrag zurück, nicke bei Leberknödelsuppe, die gehört zu meinen Lieblingen. Laut Karte ist die auch das Einzige in meinem Budget,sie wird wenig später gebracht, in Riesenschüssel, aber der Suppensee ist in Puppenhausgröße, immerhin: Flüssigkeit.

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Representation der persönlichen Fertigkeit. Foto: Valentin Kouba

Fahre weiter. Es geht ein bisschen besser, bin dennoch unfit. Denke: Mach ruhig. Fahr so weit du kannst, notfalls machste mehr Pausen oder nickerst irgendwo im Schatten. Fahre weiter.

Wie so oft benörgle ich meinen eigenen Charakter, den ein Freund beschreibt mit „Ganz oder Garnicht-Glori“ –

hab mich verfahren und bin auf der Autobahn gelandet, das geht hier schnell mal, um eine Felswand gekurvt und zack, am blauen dicken Schild vorbei. Hätte auf den ersten 100m noch umdrehen können, aber sowas seh ich nicht ein. Leider, denke ich nach 30km. Es ist nicht mehr ganz so viel ungewohnter Presslufthammer im Gesicht, wie das erste Mal auf der Autobahn, aber oh boy, Heinz und ich und die Zuladung und mein Helm ohne Visier, wir alle sind nicht gemacht für die Autobahn. Sind grad ein verlorenes Team, die Autos zischen links und rechts vorbei, ich denke an den Postkartenkitsch wenige Minuten zuvor, höre mein Navi im Ohrstöpsel nicht mehr. Wer nicht versteht: Der Unterschied von Landstraßen zu Autobahn mit Motorrad steht ungefähr in der gleichen Ratio an Genuss zu Heftigkeit wie guter Whiskey -> Stecknadeln essen. Beides kann man machen, beides macht was im Bauch, aber nur eins prickelt wohlig.

Lang genug schnell ohne Dach unterwegs, nimmt man Autos nicht mehr als Menschentransportschachteln wahr – sie werden zu fiesträgen Käfern, deren Vorhaben man nicht sehen kann. (Liebe Autofahrer: Blinken vor einem Spurwechsel ist in der Tat hilfreich, will man als Motorradfahrer nicht krepieren. Danke, ihr stumpfen Ficker.)
Die Sonne scheint, es regnet. Das grelle Licht bricht sich an meiner vollgespritzten Brille, langsam beschlägt sie auch von innen, ich sehe schlecht. Fahre auch nur noch auf Tankreserve, natürlich. Halte mich auf der rechten Spur und warte auf eine Tankstellenanzeige.

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Genervt und grad nicht sehr am Grinsen: Auch das ist Reisen. Charmant, wenn man auch dann stetig fotografiert wird. Foto: Valentin Kouba

Stau. Was als nächstes? Zische ich genervt vor mich hin. Es reicht doch allmählich mit den schwierigen Hürden!

Verbringe nach dem Tanken die restliche Fahrt mit Stop and Go-Verkehr. Darf auf dem Motorrad bei Stau nach vorn schlängeln. Bin nun mein eigenes Symbol der Genugtuung: Ich, gelb und schnittig, fahre grinsend. Autos: stehen. So macht das wieder Laune, so kanns weiter gehen. Amüsiere mich schadenfreudig vor mich hin, vergesse für eine Weile den Hirnschmerz.

Erreiche Innsbruck und falle der Länge nach ins Bett. Morgen gilt es, Berge zu bewandern, eine Tätigkeit, die ich zuletzt mit 12 unternahm. In Berlin, um den Müggelsee herum. Keinerlei Höhenunterschied. Ahne jetzt schon, dass mir meine Kraftsporterfahrungen da nicht soo sehr helfen werden.

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